Ben Becker| © Fritz Brinckmann Urbild des Verräters, bestgehasst durch zwei Jahrtausende, Judas Ischariot. Der Mann, von dem die Bibel berichtet, er habe Jesus verraten. Was wäre, würde ihm der Prozess gemacht?
Würde die Frage gestellt, ob er schuldig sei oder unschuldig, Täter oder Opfer, Verräter oder willenloses Werkzeug? Judas war ein Freund von Jesus wie Petrus einer war: handelte er aus freiem Willen oder musste er tun, was er tat? Und was — das Frage-Karussell gewinnt Fahrt — ist mit Jesus, hat er denn nicht gewusst, wem er sich angefreundet hat? Oder hat er, der Sohn des Höchsten, sich in Judas geirrt? War Jesus Täter?
— Das ist die, von erdacht, das Ergebnis: Gewissheiten fällen kein Urteil, sie stürzen ein. Die Anklage lautet: Judas habe die römischen Soldaten zu Jesus geführt und ihn — „den ich küsse, der ist es“ — enttarnt, darum ausgeliefert, darum verraten. Allerdings ist dieser Vorwurf ziemlich aburd: Jesus hat nie im Untergrund gelebt, er war eine Person des öffentlichen Lebens, zuletzt lag ihm die halbe Stadt zu Füßen, es gab nichts zu „verraten“. Weiter: Jesus selber habe gewusst, dass Judas ihn „verrät“, darauf weist die Bibel wiederholt hin. Wenn aber, wieso hat er sich dann nicht dagegen gewehrt? Und wieso haben die anderen, der forsche Petrus vorneweg, keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen?
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Weiter: Beim letzten gemeinsamen Mahl mit Judas und den Jüngern habe Jesus das Brot geteilt, heißt es in der Bibel: Er tauchte das Brot ein, nahm es und gab es Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Als Judas das Brot empfangen hatte, fuhr der Teufel in ihn. Kam der Teufel zusammen mit dem Brot?
Demselben Brot, das auch die anderen aßen, von Jesus persönlich gereicht: Wer ist hier Täter, wer zieht die Drähte? Offenbar ist es so, dass die Geschichte von Judas und Jesus in Widersprüche verwickelt, die sich nicht auflösen lassen. Jedenfalls solange nicht, wie man diese Geschichte von ihrem Ende her denkt, dem Ende der Geschichte. Als habe alles so kommen müssen. Was wäre denn geworden, wenn Judas sich geweigert hätte, seine Rolle in dieser Geschichte zu spielen, wäre die Heilsgeschichte dann stecken geblieben? „Angenommen, ich hätte Nein gesagt.
![Rob Halford von „Judas Priest“ und seine Homosexualität Rob Halford von „Judas Priest“ und seine Homosexualität](https://i.ytimg.com/vi/sDEpulIgTFg/maxresdefault.jpg)
Gesetzt, ich hätte mich geweigert, wäre ich dann nicht — und nur dann — an Gott zum Verräter geworden? Ohne Judas kein Kreuz, ohne Kreuz keine Kirche Eine kleine Bewegung meines Kopfes, ein Schütteln statt eines Nickens, und Gottes Plan wäre ein Nichts.“ So Walter Jens in seinem Judas-Monolog, er bringt die Aporie auf den Punkt: Keine Erlösung ohne den, von dem behauptet wird, der Teufel leite ihn an.
Ben Becker feierte im Berliner Dom mit seinem Stück 'Ich, Judas - Einer unter euch wird mich verraten!'
Was ja, wenn es stimmte, bedeuten würde, dass auch Jesus ins Halbdunkel tauchte, auch Jesus, würde, so Jens, zu einem Dämon, „der mit uns spielt, uns in Versuchung führt, ja uns zum Verbrecher werden lässt“. Hat Jesus seinen Freund ins offene Messer laufen lassen? Das wäre eine Konsequenz, der nur entkommt, wer die Schraube des Absurden noch weiter anzieht und darüber spekuliert, ob es nicht denkbar wäre, dass beide, Judas und Jesus, eine feste Rolle im göttlichen Heilsplan inne gehabt haben könnten. Dass also beide taten, was sie tun mussten?
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Helmuth A. Häusler: Ein Judas Steckt In Jedem Von Uns
Rob Halford Von „Judas Priest“ Und Seine Homosexualität
Und dass dann auch der Teufel, als er in Judas fuhr, so gar nicht anders konnte als das zu tun, was er War also Gott selber der Regisseur dieses Dramas? Eines Dramas, das Gott höchstselbst so angelegt hat, dass es zwei Menschen mit ihrem Leben bezahlen müssen, Jesus und Judas Beide hängen sie am Ende dieses Dramas über uns am Holz, einer am Kreuz, der andere am Baum. So endet eine Theologie, die denkt, sie hätte höhere Pläne durchschaut.